Jüngst wurde ich gefragt, wie es ist, Rechtsübersetzerin zu sein und was die Must-haves eines Rechtsübersetzers sind.
Im vorliegenden Artikel werde ich versuchen, diese Fragen zu beantworten. Zuerst werde ich die Ursprünge der Rechtsübersetzung erwähnen und den Rechtsprozess beschreiben; danach werde ich mich mit den größten Schwierigkeiten für Rechtsübersetzer befassen und schließlich mit zwei gezielten Hauptfragen auseinandersetzen: «Was sind die Eigenschaften einer guten Rechtsübersetzung?» und «Was macht gute Rechtsübersetzer aus?».
Die Ursprünge und der Rechtsprozess
Um sich ein umfassendes Bild des Rechts- und des Übersetzungsprozesses zu machen, muss man zuerst die Herkunft dieses speziellen Fachgebiets untersuchen. Die Rechtsübersetzung hat ihren Ursprung in der Tradition der Bibelübersetzung. Was also in der ersten Phase der Geschichte durch eine Texttreue zu den heiligen Schriften geprägt war, hat sich später im Rahmen der Internationalisierung zu einem sogenannten co-drafting gewandelt. Das heißt, dass die Gesetze durch paralleles, koordiniertes Vorgehen (am Beispiel von Kanada) zugleich in einer Sprache und in der anderen verfasst worden sind. Dabei darf man aber auf keinen Fall die Rechtsvereinheitlichung im Zuge der Französischen Revolution vergessen: Diese fand unter Napoleon statt mit der Entstehung der Cinq Codes, die danach während der Expansion des Französischen Kaiserreiches in viele Teile Europas (unter anderem Italien) übernommen wurden. Heute sind das common law und das civil law die einflussreichsten Rechtssysteme: Insgesamt gehören etwa 80% aller Staaten der Welt einem dieser beiden Rechtskreise an.
Was steckt aber hinter der Rechtssprache, und was ist eine Rechtsübersetzung? Um diese Fragen zu beantworten, muss ich zuerst den Begriff «Recht» beschreiben: Recht wird als die Rechtsordnung bzw. die Gesamtheit aller Rechtsvorschriften definiert. Gegenstand des Rechtes sind Gewohnheiten und Rechtsvorschriften, also Regeln, durch die das Verhältnis einer Gruppe von Menschen zueinander oder zu den übergeordneten Hoheitsträgern oder zwischen diesen geregelt ist. Somit kann man das Recht als wesentliches Element der Kultur betrachten.
Das Recht ist zudem allein aufgrund der Tatsache, dass es nahezu sämtliche Lebensbereiche der modernen Gesellschaft durchdringt, in hohem Maße inter- bzw. transdisziplinär. Dies vorausgesetzt kann man sagen, dass die juristische Sprache eine Vielzahl an verschiedenen sprachlichen Formen annimmt und jedwede anderen Fachdisziplinen abdeckt. Sie stellt ein Subsystem zu den jeweiligen Sprachen dar und unterliegt dabei den spezifischen Regeln einer Fachsprache innerhalb dieses Systems. In vielen internationalen oder supranationalen Organisationen (beispielsweise in der EU) haben sich eigene Rechtssysteme und Rechtssprachen herausgebildet, die sich von den nationalen Rechtssprachen unterscheiden, aber dennoch sehr eng an diese gebunden sind. Aufgrund der Nichtexistenz einer internationalen Rechtssprache haben sich also wesentliche Unterschiede zwischen den durch das Recht repräsentierten Kulturen der jeweiligen Staaten entwickelt. Wie eingangs gesagt prägen die Kultur und folglich die Interkulturalität alle Ebenen der Rechtsübersetzung.
Was ist nun genau Rechtsübersetzung? Die Übersetzung von Rechtstexten ist ein Informationsangebot verfasst in einer Zielrechtssprache und einer Zielrechtsordnung über ein Informationsangebot aus einer Ausgangsrechtssprache und einer Ausgangsrechtsordnung. Dies trifft allerdings nur zu, wenn zwischen zwei Rechtsordnungen übersetzt wird (bspw. von der italienischen in die englische Rechtssprache). In mehrsprachigen Rechtsordnungen (bspw. in der Schweiz) wird hingegen innerhalb einer Rechtsordnung übersetzt, wobei hier oft der Zieltext gleichwertig neben dem Ausgangstext steht und als vollwertiger Rechtstext angesehen wird (dies gilt z. B. auch im Europarecht).
Als wichtigster Baustein der Rechtsübersetzung gelten die Rechtstermini, Träger der Grundinformation sowie Inhalt der Rechtsordnungen (Sachverhalt). Daraus entwickeln sich verschiedenen Textsorten, die in der Rechtsübersetzung streng reglementiert sind und in drei großen Gruppen eingeteilt werden können: Präskriptive, deskriptive und praxisnahe Texte. Zur ersten Kategorie zählen Schriften, mit denen rechtliche Normen gesetzt werden (bspw. Gesetze). Zur zweiten Gruppe gehören Texte, in denen rechtliche Normen kommentiert werden (bspw. Gesetzeskommentare). Die dritte Gruppe beinhaltet schließlich Texte der Rechtspraxis, welche nach rechtlichen Normen angefertigt werden (bspw. Gerichtsurteile). Wir werden später sehen, wie wichtig die Textsorten für den Übersetzungsprozess sind.
Nicht zuletzt lohnt es sich, die Adressaten des Rechts und der Rechtssprache zu erwähnen: Diese sind Juristen, Fachleute und schließlich auch Laien.
Was sind die größten Schwierigkeiten für Rechtsübersetzer?
Die Aufgabe von Rechtsübersetzern besteht darin, rechtliche Informationen effizient über die Grenzen rechtlicher Traditionen, Kulturen und Sprachen hinweg zu transportieren. Das Hauptziel dabei ist, die Verstehensbarrieren zu überbrücken zu helfen, ohne Missverständnisse und mit gröβtmöglicher Transparenz. Das oberste Gebot ist dabei die unveränderte und vollständige Wiedergabe rechtlicher Informationen und nicht die wortwörtliche Nachbildung des Originals oder die Aufrechterhaltung der grammatikalischen Strukturen der Ausgangssprache.
Aber wie? Oft vergleiche ich die Rechtsübersetzung mit einem Puzzle: Stück für Stück fügt der Übersetzer sein Werk zusammen. Jedes Stück beinhaltet präzise und äuβerst wichtige Vorgänge, wobei das Ergebnis, und zwar die rechtliche Äquivalenz eine sehr wichtige Rolle spielt. Der Übersetzer muss sich also von der wörtlichen und rein grammatikalischen Ebene lösen und das Übersetzungsrätsel in seinem größeren Kontext, d. h. auf semantischer Ebene betrachten.
Hier kommen die Rechtstermini in Spiel: Diese Einheiten stellen den rechtlichen Sachverhalt dar; sie sind nicht austauschbar und finden in anderen Rechtsordnungen meist kein Gegenstück. In fast jedem scheinbar einfachen Begriff steckt die Falle der Varianten. Der deutsche Terminus «Wohnsitz» ist das beste Beispiel dafür: In der italienischen Schweiz wird er mit «domicilio» übersetzt, in Italien hingegen ist er unter der selben Bedeutung als «residenza» bekannt. Aber Achtung: «domicilio» und «residenza» sind auf Italienisch keine Synonyme, im Gegenteil! Wir sehen also, dass die richtige Übersetzungsentscheidung verschiedene Kenntnisse und Kompetenzen voraussetzt: Zum Einen gilt es zu berücksichtigen, wer das Zielpublikum der Übersetzung ist (Jurist oder Laie?). Zum Anderen gilt es, den Sachverhalt in allen Details zu verstehen und die entsprechenden Rechtsquellen heranzuziehen (weil Gesetztestexte oft kaum miteinander vergleichbar sind).
Ohne all diese Voraussetzungen kann es schnell zu Übersetzungsfehlern, Ungenauigkeiten, Fehlinterpretationen oder im schlimmsten Fall sogar Rechtsstreitigkeiten kommen.
Was sind die Eigenschaften einer guten Rechtsübersetzung? Was macht gute Rechtsübersetzer aus?
So könnte man auf beide Fragen zumindest visuell antworten.
Laut Hudalla (2014) muss der Übersetzer bei der Äquivalenzherstellung den Bedeutungsgehalt der Rechtsregel in der Ausgangssprache juristisch zutreffend erfassen. Er muss das Rechtssystem der Zielsprache gut genug kennen, um zu beurteilen, ob in der Zielsprache ein Rechtsinstitut mit äquivalentem oder annähernd äquivalentem Regelungsgehalt existiert. Und er muss in der Lage sein, die geeignete Übersetzungsstrategie zu wählen, um den Inhalt der Regelung zu übermitteln. Ein fundiertes Wissen im jeweiligen Fachgebiet ist hierbei die Grundvoraussetzung, zusammen mit dem Know-how über die Rechtslage in der Ausgangs- und der Zielkultur. Viele übersetzerische Entscheidungen hängen von der Klassenzugehörigkeit eines Rechtstextes ab: Je nach Textsorte werden Register, Stil und Terminologie ausgewählt.
Auch das Zielpublikum spielt im Übersetzungsprozess eine wesentliche Rolle. Falls beispielsweise ein Urteil für ein Publikum ohne juristisch fundierte Kenntnisse übersetzt wird, kommt dem Übersetzer neben der Translatorrolle auch eine stärker auf Informationsvermittlung gerichtete Rolle zu, das heißt, er wird für seinen Adressaten einige ergänzende Erklärungen (bspw. bezüglich einer im Text erwähnten Behörde anhand von Fußnoten oder in Klammern) machen müssen. Schließlich heißt in adressatengerechter Perspektive zu übersetzen, mit sprachlichen Alternativen zu operieren, und wenn nötig, Teile der Thema-Rhema-Progression im Zieltext umzugestalten, um textsortenorientierte Formulierungen produzieren zu können.
Aber kommen wir nun zur Variantenthematik zurück: Der Übersetzer der juristischen Terminologie ist ständig mit der Rechtsvergleichung konfrontiert. Er muss die genaue Bedeutung eines Begriffs in der Ausgangsprache, d. h. in der Rechtsordnung und in den Rechtsvorschriften des Landes der Ausgangssprache feststellen. Erst danach kann er den Terminus mit derselben oder mit einer vergleichbaren Bedeutung in der Zielsprache, d. h. in der Rechtsordnung und in den Rechtsvorschriften des Landes der Zielsprache suchen. Die Recherchekompetenz ist dabei sehr wichtig (Wörterbücher, Datenbanken, Spezialisten und Rechtsquellen).
Gute Rechtsübersetzer sollten schließlich eine entsprechende Qualifikation haben und sich ständig fortbilden. Das ist in unserem Bereich äußerst wichtig. Deswegen ist die Regel Nummer 1: immer am Service von nicht-qualifizierten Übersetzern zweifeln! Theoretische Kenntnisse zu Methodik und Praxis der Translation erwirbt man ausschließlich im Rahmen einer universitären Ausbildung, und diese sind während des übersetzerischen Prozesses unabdingbar. Soft skills wie Flexibilität und Sorgfalt runden schließlich das Profil eines guten Rechtsübersetzers ab.
Quellen:
- Hartmann, Sarah (2018): Die Übersetzung der napoleonischen Gesetzbücher ins Italienische. In: Workshop Rechtssprache und Rechtsübersetzung in Geschichte und Gegenwart (Germersheim, 20.− September 2018).
- Hudalla, Inge (2014): Phraseologische Wortverbindungen der juristischen Fachsprache: ein Medium zur Vermittlung von Rechtsterminologie und Rechtskenntnissen im DaF-Unterricht. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.). Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld zwischen Sprachwissen und Sprachkönnen. 307-320.
- Pirker, Benedikt (2010): Die Übersetzung von Rechtsprechung im Wirtschaftsvölkerrecht.
- Rakšányiová, Jana (2017): Quo vadis, Rechtsübersetzung?
- Sandrini, Peter (1999): Übersetzen von Rechtstexten. Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnung und Sprache.
- Schönhofer, Bianca (2013): Das Übersetzen von Vertragstexten zwischen kontinentaleuropäischen und anglo-amerikanischen Rechtsordnungen: Spezifika, Probleme und Strategien.
- <www.termcoord.eu>. http://termcoord.eu/2017/05/le-traducteur-en-tant-quentite-cognitive. Abgerufen am 23.05.2019.